Mitten in der Nacht landen wir in Ilulissat. Über der Disko-Bucht leuchtet der Himmel noch immer hell, selbst um Mitternacht senkt sich die Dunkelheit hier nur widerwillig. Schon am ersten Morgen zieht es uns hinaus: die Suche nach Licht, nach Eisbergen. Am Fjord knackt und kracht es ununterbrochen. Hier kalbt der gewaltige Sermeq-Kujalleq-Gletscher, schleudert Eis ins Meer, das an einer Unterwasserschwelle hängenbleibt, bis die Blöcke klein genug sind, um hinaus in die Weite des Atlantiks zu treiben. Ein unaufhörliches Schauspiel.
Der Klang der Schlittenhunde gehört zum Ort. Hunderte leben in Hütten am Stadtrand, ihr Heulen liegt wie eine Melodie über Ilulissat. Die Stadt selbst wirkt auf den ersten Blick chaotisch: Häuser verstreut auf Felsen, verbunden durch Holzstege, dazwischen Gerümpel, Boote, alte Autos. Es dauert, bis man den besonderen Rhythmus dieses abgelegenen Ortes spürt – fern von Schönfärberei, rau, aber authentisch.
Regen und Nebel begleiten uns am nächsten Tag. Trotzdem steigen wir in Kajaks, eingepackt in Dry-Suits, und paddeln hinaus Richtung Eisfjord. Die Nähe zu den Eisriesen ist atemberaubend, selbst im Grau. Am Morgen darauf hat sich das Bild gewandelt: Über Nacht haben sich riesige Tafeln gelöst und treiben nun majestätisch hinaus in die Disko-Bucht. Der perfekte Auftakt für eine Wal-Safari. Und tatsächlich – wenig später gleitet der Rücken eines Buckelwals neben uns durch das Wasser, hebt sich, glänzt, verschwindet wieder. Immer wieder tauchen sie auf, bis einer keine zehn Meter vom Boot entfernt vor uns abgleitet. Gänsehaut.
Doch Grönland zeigt auch Schattenseiten. Müllberge in der Natur, fehlende Entsorgung, Abwasser, das ins Meer geleitet wird. Geschichten von häuslicher Gewalt, Alkoholproblemen, Schlittenhunden in fragwürdiger Haltung. Das Paradies ist nicht makellos – der schnelle Übergang von traditionellem Leben zu moderner Gesellschaft hinterlässt Spuren.
Die Überfahrt nach Qeqertarsuaq auf Disko Island wird zur Lotterie – erst gestrichen, dann doch möglich, am Ende schaukeln wir zwischen Eisblöcken durch hohen Wellengang. Der Ort wirkt ländlicher, ruhiger, ein bisschen aufgeräumter als Ilulissat. Kinder spielen auf den Straßen, vor der Küste türmen sich die Eisberge, und über allem ragen die beiden Tafelberge, über Nacht leicht gepudert mit Schnee.
Ein strahlender Tag schenkt uns einen Anblick, der fast zu schön ist, um wahr zu sein: Zwei Stunden stehen wir am schwarzen Strand, die Sonne lässt die Eiskugeln und -berge in allen Farben funkeln, während es donnert und knackt, wenn wieder ein Stück abbricht. Selbst kleine Eisstücke zischen wie Mineralwasserflaschen, wenn eingeschlossene Luftblasen entweichen. Eine Sinfonie des Eises.
Zurück in Ilulissat verabschieden wir uns mit einer Bootsfahrt am Mund des Eisfjords. Riesige Eisberge treiben majestätisch vorbei, jede Schattierung von Weiß und Blau erzählt ihre eigene Geschichte. Manche Oberflächen rau von Felskontakt, andere glatt und gläsern, durchzogen von Linien, die gefrorene Schmelzwasserseen verraten. Ein geologisches Archiv, das unaufhörlich neu beschrieben wird.
Am letzten Morgen bringt uns ein Flug zurück über das Packeis. Unter uns breitet sich die weiße Weite, unterbrochen von Eisbergen, bis zum Horizont. Ein letzter Blick auf den gewaltigen Fjord, dann verschwinden die Konturen im Blau des Atlantiks.
Grönland bleibt in Erinnerung als Land der Extreme: überwältigende Natur, majestätische Eisberge, Begegnungen mit Walen – aber auch ein Ort voller Brüche und Widersprüche. Wer sich darauf einlässt, erlebt hier nicht nur ein Naturparadies, sondern auch ein Stück Welt, das an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne steht – roh, echt und unvergesslich.
Beste Reisezeit
Sommer (Juni–August): milde Temperaturen (5–15°C), lange Tage und Mitternachtssonne, beste Zeit für Bootsausflüge, Wandern und Walbeobachtungen.
Winter (Dezember–März): Nordlichter, Hundeschlitten und Schneelandschaften – aber auch extreme Kälte und eingeschränkte Infrastruktur.
Anreise & Fortbewegung
Flüge nach Ilulissat meist über Kopenhagen oder Reykjavik.
Vor Ort nur per Boot, Flugzeug oder Helikopter – es gibt keine Straßen zwischen den Orten.
Viele Ausflüge (z. B. Disko Island) hängen stark vom Wetter ab – Flexibilität einplanen!
Unterkünfte
Auswahl zwischen Hotels, Gästehäusern und Airbnbs – oft einfach, aber gemütlich.
Preise sind hoch, rechtzeitige Buchung ist wichtig.
Auf Disko Island oder in kleineren Orten ist die Auswahl sehr begrenzt.
Ausrüstung & Kleidung
Zwiebelschichten, wind- und regenfeste Kleidung sind unverzichtbar, auch im Sommer.
Mütze, Handschuhe und wasserdichte Schuhe mitnehmen.
Kamera unbedingt mit ausreichend Speicherkarten und Ersatzakkus (Kälte entlädt schnell).
Highlights & Aktivitäten
Ilulissat-Eisfjord (UNESCO-Weltnaturerbe): Bootstouren, Wanderungen, atemberaubende Eisformationen.
Walbeobachtungen: vor allem Buckelwale, oft direkt vor der Küste.
Kajakfahren: traditionelle Fortbewegungsart der Inuit – nah am Eis ein unvergessliches Erlebnis.
Disko Island (Qeqertarsuaq): vulkanische Landschaft, schwarze Strände, mächtige Eisberge.
Besonderheiten
Lebensmittelversorgung ist eingeschränkt: frische Produkte sind rar und teuer, dafür findet man oft überraschend vielfältige Waren in den Supermärkten.
Müllentsorgung ist ein Problem – Abfälle werden häufig gelagert oder deponiert, es gibt keine flächendeckenden Konzepte.
Hundeschlittenhunde gehören zum Alltag – ihre Haltung wirkt aus europäischer Sicht oft befremdlich.
Alkoholismus und soziale Probleme sind präsent, im Alltag der Besucher aber meist nicht spürbar.